Darmkrebs
Erfahrungsbericht

«Die Krankheits­bekämpfung ist unser Projekt geworden.»

Conradin hat gemeinsam mit seiner Frau Miriam fast sieben Jahre gegen eine aggressive Form von Darmkrebs gekämpft. Ein Jahr nach seinem Tod im Oktober 2020 erzählt uns Miriam, wie sie über all die Jahre beide zu Experten von Conradins Krankheit wurden.

Conradin und ich – wir waren seit Teenagerzeiten ein unschlagbares Team, heirateten 2011 und hatten viele Zukunftspläne: Wir wollten reisen, die Welt entdecken, Karriere machen und vielleicht irgendwann eine Familie gründen. Conradin war extrem zielstrebig im Beruf, bildete sich bis zum Medizinal-und Pharmatechnikingenieur weiter, war neugierig, weltoffen, wissbegierig, interessiert und liess sich niemals unterkriegen. Dass ihm diese Eigenschaften beim Kampf gegen seine Krankheit helfen würden, wurde uns im Februar 2014 schlagartig bewusst. Schon im Dezember 2013 hatte Conradin starke Bauchschmerzen, im CT sah man eine Entzündung, Diagnose: Divertikulitis*. Vor Weihnachten wurde er mit Antibiotika und der Empfehlung einer Darmspiegelung, wenn die Entzündung abgeklungen war, entlassen. Die Ärzt*innen beruhigten uns, dass kein Grund zur Sorge bestehen würde, schliesslich war Conradin mit seinen 29 Jahren kein Risikopatient.

Wie Conradin war, packte er seine Erkrankung pragmatisch an, wollte stets schonungslos die ganze Wahrheit wissen und sein eigenes Medizinalwissen einbringen.

Miriam Döbeli

Pragmatisches Anpacken der Erkrankung

Trotz Antibiotika blieben die Bauchschmerzen, Mitte Februar folgte die Darmspiegelung. Und da wurde das ganze Ausmass deutlich: Die Entzündung war durch einen Tumor im Darm verursacht worden, Conradin musste umgehend operiert werden. Für uns war es ein riesiger Schock und zugleich hatten wir gar keine Zeit, uns mit der Diagnose auseinanderzusetzen, alles ging rasend schnell. Die Operation verlief gut, der Tumor konnte entfernt werden und doch brauchte er zusätzlich eine Chemotherapie, da bereits zu viele Lymphknoten befallen waren. Wie Conradin war, packte er seine Erkrankung pragmatisch an, wollte stets schonungslos die ganze Wahrheit wissen und sein eigenes Medizinalwissen einbringen. Bereits im ersten Gespräch mit der Onkologin fragte er, woran man erkenne, dass die Therapie wirke. Glauben und Hoffen genügten ihm nicht. Er wollte die Krankheit verstehen. Als seine Ehefrau begleitete ich Conradin von Tag eins an zu allen Terminen. Das war mir wichtig. Mit unserer Onkologin hatten wir grosses Glück, von Anfang an sassen wir im selben Boot, konnten auf einer fachlichen, hohen Ebene diskutieren und gemeinsam Entscheide fällen.

Dann der zweite Schock. Trotz Chemotherapie hatten sich zwei Lebermetastasen entwickelt. Diese konnten zwar operativ entfernt werden und die Chemotherapie wurde gewechselt, trotzdem folgten weitere Rezidive in der Leber und vereinzelt in Lymphknoten. Im September 2015 zeigte eine molekularbiologische Untersuchung, dass Conradins Tumor so aggressiv und therapieresistent war, weil dieser mutiert war. Lediglich 10 Prozent der Darmkrebspatient*innen haben diese BRAF-Mutation.

Miriam und Conradin Döbeli im Dezember 2019.

Kein «Standard of Care» für Conradins Fall

Zu diesem Zeitpunkt gab es keine etablierte Therapie für Patient*innen mit einer BRAF-Mutation*. Der Krebs konnte mit lokalen Methoden wie SBRT* und SRFA* in Schach gehalten werden und doch war uns dieser immer wieder einen Schritt voraus. So auch im Frühling 2017, als Conradin einen schweren Rückfall mit Lymph- und Lebermetastasen hatte. Unterdessen gab es vielversprechende Daten, dass eine so genannte Targeted Therapy* bei BRAF-mutierten Tumoren helfen könnte. Unsere Onkologin hatte an einem Kongress davon gehört. Conradin konnte diese neue Therapie ausprobieren und hatte Glück – sie wirkte. Vorerst zumindest. Nach einigen Monaten liess die Wirkung aufgrund von Resistenzmutationen* nach. Conradin musste wieder auf eine klassische Chemotherapie wechseln. Dieses Mal sprach er gut darauf an. Die Targeted Therapy hatte die Krebszellen für die Chemotherapie sensibilisiert. Es war ein stetiges Auf und Ab, in Conradins Fall gab es den «Standard of Care» schon lange nicht mehr.

Glauben und Hoffen genügten ihm nicht. Er wollte die Krankheit verstehen.

Miriam Döbeli

Experten-Team "Conradin"

Wir haben nächtelang recherchiert, welche Behandlungen bei ähnlichen Fällen geholfen haben, wir haben unzählige Studien gelesen, später auch an Kongressen teilgenommen und wurden gemeinsam mit unserer Onkologin zum Experten-Team «Conradin».

Dass bei der Einnahme neuer Medikamentenkombinationen auch immer ein Mortalitätsrisiko besteht, haben wir offen diskutiert, die Risiken abgewägt und dann die Entscheidung getroffen. Conradin sagte jeweils: «Ich sterbe lieber mit der Waffe in der Hand, als dass ich an Krebs dahinvegetiere.» Bis zum Schluss war er überzeugt, eine Lösung für sein Problem zu finden und gesund zu werden.

 

Glückliche Momente trotz fortschreitendem Krebs

Die Krankheitsbekämpfung ist unser Projekt geworden, zugleich haben wir aber auch gelebt und sehr viele schöne, intensive Momente erlebt. Etwa bei unseren insgesamt 17 Reisen in den 6,5 Jahren von Conradins Krankheit. Unsere Onkologin hat unsere Reisepläne, auch in ferne Länder, stets begrüsst und unterstützt, etwa indem sie die Termine für Therapien entsprechend anpasste. Die Krankheit hat uns zwar den Takt vorgegeben, aber wir haben immer versucht, uns nicht dirigieren zu lassen. Wenn ich heute an die letzten sieben Jahre zurück denke, dann sind diese nicht nur von Krebs geprägt, sondern auch von bereichernden Erlebnissen und Begegnungen mit Menschen auf der ganzen Welt.

 

Bis zum Schluss gekämpft

Nach einem stabilen 2018 konnte Conradin im Frühling 2019 plötzlich nicht mehr lesen. Ein MRI bestätigte die schlimmste Befürchtung: Hirnmetastasen. Der Krebs hatte ihm etwas vom Wertvollsten genommen, er hatte Conradins Gehirn angegriffen – seine Waffe, um gegen die Krankheit anzukämpfen. Zum Glück leben wir im 21. Jahrhundert und Conradin liess sich, pragmatisch wie er war, alle Texte von entsprechenden Computerprogrammen vorlesen. Die Hirnmetastasen konnten zwar bestrahlt werden, die Lesefähigkeit kam aber nicht zurück und das Recherchieren war nicht mehr in der gleichen Effizienz möglich. Es war eine belastende Zeit für uns beide. Im Herbst 2020 verschlechterte sich Conradins Gesundheitszustand nochmals. Die Therapien wirkten jeweils nur noch für kurze Zeit, er hatte Bauchfellmetastasen und einen Verschluss des Zwölffingerdarms. Als letzte Option blieb eine Operation, die er unbedingt wollte. Obwohl diese gut verlief, verstarb Conradin ein paar Tage später an einer schweren Magenblutung. Der Krebs hatte sich bis in die Magenschleimhaut hineingefressen und die Blutung verursacht. Conradin hat bis zum letzten Tag gekämpft. Für sich, für unsere Liebe, für seine Familie und Freunde. Sein Lebenswille war unglaublich und dafür werde ich ihm immer dankbar sein

Conradin hat bis zum letzten Tag gekämpft. Sein Lebenswille war unglaublich und dafür werde ich ihm immer dankbar sein.

Miriam Döbeli

Miriams Tipps für Betroffene: 

  • Informiere dich über deine Erkrankung und nimm eine aktive Rolle ein. Du kennst dich selbst am besten!

  • Frage nach, wenn du etwas nicht verstehst, damit du mit deinem Arzt / deiner Ärztin gemeinsam Entscheide treffen kannst.

  • Nimm dir Auszeiten. Tue Dinge, die dir Kraft geben. 

  • Sprich mit deinem Umfeld über deine Diagnose. Eine offene Kommunikation beugt Missverständnissen vor und gibt deinem Umfeld die Möglichkeit, dich so zu unterstützen, wie du dir das wünschst.

Weil wir selbst die Erfahrung gemacht haben, dass es wichtig ist, sich mit der Erkrankung auseinanderzusetzen und möglichst viel über die genaue Form des Darmkrebses zu lernen, haben wir COLORECTUM gegründet.

*Glossar

Divertikulitis
Eine Divertikulitis ist eine gutartige Erkrankung, bei der sich Ausstülpungen im Dick- oder Dünndarm entzünden. 

BRAF-Mutation
Bei etwa 8 – 10 Prozent der Darmkrebspatient*innen weisen die Tumorzellen eine BRAF-Mutation auf. Diese Tumoren wachsen besonders rasch und aggressiv.

SBRT
Die stereotaktische Bestrahlung (SBRT) ist eine hochpräzise strahlentherapeutische Methode, um kleine Tumore oder Metastasen schonend zu behandeln. Mit dieser Technik können hohe Einzeldosen gezielt appliziert und Risikoorgane maximal geschont werden.

SRFA
Die stereotaktische Radiofrequenzablation (SRFA) ist eine minimalinvasive Methode zur Behandlung von Tumoren oder Metastasen. Dabei werden mithilfe eines 3D-Navigationsgeräts mehrere Nadeln in den Tumor gesetzt. Die Spitzen der Nadeln werden erhitzt und zer-stören so den Tumor.

Targeted Therapy
Zielgerichtete Krebstherapie (Targeted Therapy) nennt man die Behandlung mit Medikamenten, die sich gezielt gegen spezifische Eigenschaften von Tumoren richten.

Resistenzmutationen
Bei der Anwendung von zielgerichteten Therapien können Resistenzmutationen auftreten. Dies sind neue Mutationen, die zu einem Wirkungsverlust der Therapie führen können.

Text: Anna Birkenmeier
Datum: 26.09.2022