Jodie bei der Diplomfeier
Brustkrebs
Erfahrungsbericht

Mit Erfolg bestanden

Jodie Cole Cancer Survivor

Jodie Cole
Krebs Survivor,
Moderatorin, Autorin,
Rednerin

«Mit Erfolg bestanden» wer liebt diese Worte nicht auch? Im Auto sitzend, auf dem Parkplatz der Post, öffnete ich den Brief. Darin der Bescheid der Universität, dass ich alle Anforderungen erfüllt hatte und meinen Abschluss erhalten würde.

Nicht irgendein Brief von irgendeiner Universität, son­dern ein Brief von der renommierten University of London, die mir einen Master of Science zuspricht – mit MEINEM Namen darauf. Die Wörter im Brief verschwam­men, als sich meine Augen mit Trä­nen füllten. Es gab Momente, wo ich dachte, diesen Brief niemals zu Gesicht zu bekommen.

 

Das grosse Ziel

 

Wie sehr ich diesen Master doch ge­wollt hatte. Wie viele Male ich mich nach dieser Qualifikation gesehnt hatte, um mir selbst zu beweisen, dass ich anderen in nichts nachstehe. Aber nicht nur mei­ne brennende Leidenschaft trieb mich an. Auch mein berufliches Umfeld er­wartete es von mir. 20 Jahre Arbeitser­fahrung und Erfolg in meiner Rolle wa­ren einfach nicht mehr genug. Es kam vor, dass ich mir anhören musste: «Oh, Sie haben gar keinen Abschluss?» Dieses exklusive Stück Papier war mir ein Dorn im Auge und ich WOLLTE es haben!


Ich war alleinerziehende Mutter mit der finanziellen Verantwortung für zwei Teenager. Ich hatte nie die Zeit oder die Finanzen, um mich selbst weiterzubil­den. Alles floss in die Bildung meiner Kinder.  Denn ich selbst musste auf die harte Tour lernen, wie wichtig die Bil­dung ist. Als sich meine Teenager-Toch­ter Ende 2012 an verschiedenen Univer­sitäten bewarb, tat ich es ihr gleich. Ich bewarb mich um die Zulassung zu ei­nem Master of Science in Organisational Behaviour als Studentin reiferen Alters.

Profilbild Jodie

Jodie mit Sohn und Tocher

Einige Monate später geriet meine Bewerbung jedoch völlig in Vergessen­heit. Bei mir war metastasierter Brust­krebs im vierten Stadium mit Leber-, Ei­erstock-, Lymphknoten- und Knochen­metastasen diagnostiziert worden. Als ich geschwächt von der Chemotherapie auf dem Sofa lag, poppte in meiner Mail­box eine E-Mail auf. Ach du meine Güte! Die Universität hatte meine Bewerbung für das Masterprogramm angenommen! Da war sie, die Möglichkeit, um endlich meinen grossen Traum zu verwirklichen. Aber kann ich das? Und doch: wie könn­te ich nicht?! Und so drückte ich, haarlos und krank vom Krebs, auf den Bestätigungsknopf.

 

Im Oktober desselben Jahres kam ich nach London – nach 18 Wochen Che­motherapie, einer doppelten Mastekto­mie und immer noch in Behandlung. Ein erster leichter Flaum zeigte sich auf meinem kahlen Kopf und durch die Be­handlung war ich 10 kg schwerer als sonst. So sass ich im Vortragssaal mit Glanz in den Augen und Stolz im Her­zen. In diesem Jahr hatte ich einige wun­derbare Freunde gefunden mit denen ich sowohl die Bücher als auch die Erfahrung des ersten Studienjahrs teilen würde.


Leider blieb es bei diesem ersten Jahr, da bei mir erneut Brustkrebs diagnosti­ziert wurde und ich mein Studium für eine weitere doppelte Mastektomie ver­schieben musste (ja, Sie haben richtig ge­lesen!). Niedergeschlagen, aber immer noch beflissen, das Studium zu been­den, wollte ich mich gerade erneut ein­schreiben, als die dritte Brustkrebs-Diagnose kam. Ich musste mein Studium zum dritten Mal auf Eis legen. Es vergingen viele Monate, bis ich mich von dieser dritten Runde erholt hatte, da eine radikale­re doppelte Mastektomie gefolgt von einer wochen­langen Strahlentherapie erforderlich war. Gerade als ich das Licht am Ende des Tunnels erblickte, er­hielt ich meine vierte Diagnose: Brustkrebs mit Lebermetastasen. «Sorry, ich habe Krebs, kann ich mein Studium bitte aufschieben?» Bei der Zulas­sungsstelle der Universität musste ich mich mitt­lerweile wie eine kaputte Schallplatte anhören.

«Ich hatte über die Jahre gelernt, wie wichtig es ist, ein Ziel zu haben und wie dieses dazu beiträgt die Widerstandsfähigkeit in uns selbst zu stärken.»

Jodie Cole

Es war im Oktober 2017, noch während der Chemo­therapie für die vierte Behandlungsrunde, als ich all meine Vorsicht über Bord warf und mich erneut für mein letztes Jahr ein­schrieb – entschlossen, krebsfrei zu blei­ben und meinen Master endlich abzu­schliessen. Ich hatte mir ein Muster ei­nes Master- Zertifikats heruntergeladen, mit meinem Namen ver­sehen und das Papier über meinen Schreibtisch ge­hängt. Wenn es hart auf hart kam, blick­te ich auf das falsche Zertifikat und stellte mir vor, wie ich eines Tages mein eigenes, echtes Zertifikat mit goldenem Logo und den ge­schwungenen Unterschriften, in den Händen hal­ten würde.

 

Ich hatte über die Jahre gelernt, wie wichtig es ist, ein Ziel zu haben und wie dieses dazu beiträgt die Widerstandsfähigkeit in uns selbst zu stärken: Zu visualisieren, sich ein Ziel zu setzen und danach zu streben, sich selbst und den eigenen Einfluss auf die Umwelt zu verstehen, hilft einem wirklich dabei, Herausforderungen und Hindernisse zu überwin­den. Für mich war es lebenswichtig nach etwas zu streben das über den Krebs hin­ausgeht. Zu glauben, dass ich überleben würde und sollte dies geschehen, ich ei­ne Sinnhaftigkeit hatte. Und dieser Mas­ter gab mir all die Komponenten, um die­se vierte Runde zu packen.

Jodie bei der Krebsbehandlung

Dennoch war das Studium hart für mich. Durch die Chemotherapie war ich müde und unkonzentriert geworden. Ausserdem war ich jetzt eine Fernstudentin, die sich in die Vorlesungen einloggte, wenn es der eige­ne Zeitplan (oder jener des Arztes) gerade erlaubte. Die Prüfungen waren für mich das Schwierigste, da mein Gedächtnis nachgelassen hatte. Dazu ka­men das Schreiben und Recherchieren für die Dis­sertation. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem ich meine Arbeit via Post nach London abschickte. Dieser beschwingte Moment, als ich aus dem Postamt trat mit diesem Gefühl von Stolz, Vollendung und Endgültigkeit. Nun begann die Zeit des Wartens …


… Und ich wartete. Würde meine Dissertation angenommen? Würde ich dieses wertvolle Stück Papier, nach vier Krebserkrankungen, drei doppelten Mastektomien, Strahlen­therapien, medizinischen Eingriffen und Behandlungen, endlich in meinen Händen halten dürfen? Dieses exklusive Stück Papier, das mich über all diese Jah­re vorantrieb, das für mich für Überle­ben stand, eine Goldmedaille für das Überqueren der Ziellinie. Dieses Stück Papier bedeutet, an mich selbst zu glau­ben, alles erreichen zu können, was ich wollte. Es bedeutet für mich aber auch 18 Monate Krebsfrei­heit. Es bedeutet Erfolg.


«Mit Erfolg bestanden», wer liebt diese Worte nicht auch? Hier bin ich nun, auf dem Parkplatz mit MEINEM Brief...

Jodie Cole mit Erfolg bestanden

Mit Erfolg bestanden

Autorin: Jodie Cole
Datum: 26.09.2022